MUSTERLÖSUNG krisenkommunikation & -management

SExueller Übergriff?

 

MUSTERLÖSUNG zum Szenario von Teil 1 und Teil 2

 

Disclaimer:
Musterlösungen zu unseren Szenarien sind immer als eine Möglichkeit zu sehen, wie die Krisenlage angegangen werden kann. Unsere Musterlösungen erheben nicht den Anspruch, den alleine glückselig machenden Weg zur einer raschen Bewältigung einer Krise darzustellen.

Aufgabe 1:

Führen Sie eine Problemerfassung durch.

Vorschlag

Wir verwenden für die Problemerfassung das entsprechende Formular der Firma SPINNLER | MEIER | SENN (vgl. Beilage).

 

 

Aufgabe 2:

Überlegen Sie, welches Wording der ersten Stunde Sie dem Krisenstab vorschlagen würden.

Vorschlag

Unter dem Wording der ersten Stunde verstehen wir die Kernbotschaft, welche der Krisenstab im Sinne einer Sofortmassnahme als eine der ersten Entscheidungen trifft. Das Wording der ersten Stunde dient dazu, widersprüchliche Aussagen gleich zu Beginn einer Krise zu verhindern und alle Involvierten auf eine gemeinsame Sprachregelung «einzuschwören». Was für alle Sofortmassnahmen gilt, gilt auch für das Wording der ersten Stunde: Es darf keine späteren Entscheide des Krisenstabes oder der Krisenkommunikation präjudizieren. Entsprechend muss ein Wording der ersten Stunde meist noch relativ offen und unverbindlich bleiben.

Wichtig beim Wording der ersten Stunde ist, die vorhandenen Informationen gleichsam schon zu verifizieren, bevor sie verwendet werden. Es ist eine Konstante jeder Krisenlage, dass ganz zu Beginn widersprüchliche Informationen vorhanden sind und/oder Gerüchte und Spekulationen ins Kraut schiessen. Die Literatur hat für diese Phase den Begriff «Chaosphase» geprägt. Wenn sich die Krisenkommunikation in dieser Phase Fehler leistet (z.B. indem sie Falschinformationen verbreitet), kann das die spätere Krisenbewältigung wesentlich beeinträchtigen.

Im vorliegenden Szenario könnte ein Wording der ersten Stunde zum Beispiel lauten:

«Wir bestätigen, dass eine Mitarbeiterin unserer NGO einen Kollegen beschuldigt, ihre sexuelle Integrität verletzt zu haben. Für uns als Arbeitgeber ist wichtig, dass in einer ersten Phase der Sachverhalt genau abgeklärt wird, erst wenn das passiert ist, können Schlüsse gezogen werden. Zum Schutz der involvierten Parteien hat die Geschäftsleitung die Mitarbeiterin wie den Mitarbeiter für die Zeit der Abklärungen beurlaubt.»

 

Aufgabe 3:

Wägen Sie Pro und Cons eines Auftritts im Rahmen der TELE TOP Berichterstattung ab und stellen Sie dem Krisenstab entsprechend Antrag.

 

Vorschlag

Pros

Cons

–   Wenn bereits eine Gewerkschaft involviert ist, hat TT damit sicher einen Protagonisten und wird das Thema auf jeden Fall bringen. Wenn wir Stellung nehmen, können wir zeigen, dass wir die Angelegenheit ernst nehmen und handeln.

–   Bei Themen wie dem vorliegenden kann man als Firma nur verlieren. Die Marke wird beschädigt – und je mehr wir zur Berichterstattung handbieten, umso breiter wird das Thema von den Medien behandelt.

–   Die Aussage zu verweigern könnte wirken, als ob wir uns etwas vorzuwerfen hätten – was wir aber nicht haben.

–   Die Medien werden immer Täter und Opfer benennen wollen, auch wenn immer noch Aussage gegen Aussage steht. Das Risiko von Vorverurteilungen ist zu gross.

–   Wir haben gute Botschaften: Das wir die Thematik ernst nehmen, dass wir seit vielen Jahren ein Reglement haben, dass wir noch nie diesbezügliche Probleme hatten.

–   Öffentliche Beachtung bringt niemandem etwas, im Gegenteil. Beide Involvierten können stigmatisiert werden, beim mutmasslichen Opfer besteht zudem noch das Risiko von Gewaltakten aus dem Kreis ihrer Familie.

–   Nur wenn wir uns den Medien stellen, können wir auch allfällige Vorwürfe der involvierten Gewerkschaft kontern, von denen wir bislang gar nichts wissen.

–   Die Unia wird in dieser Thematik eh’ nicht als glaubwürdig wahrgenommen, nachdem sie selbst solche Fälle in ihren Reihen hatte.

 

–   Es braucht nur eine unglückliche Formulierung unsererseits, und wir stehen in einem schiefen Licht da – und wenn TT unsere Aussagen unglücklich schneidet, besteht ebenfalls das Risiko, dass wir missverstanden werden.

 

–   Die Nasty Questions List zeigt schon auf, dass wir das Risiko laufen, dass wir am Ende einräumen müssen, dass wir ohne schlüssige Beweise nichts gegen den mutmasslichen Täter unternehmen können, womit wir am Ende immer schlecht dastehen.

Aus allen erwähnten Gründen empfehle ich, in solchen Fällen sehr zurückhaltend zu sein. Der Entscheid pro oder kontra hängt aber auch noch von weiteren Elementen ab: Wie gut geschult ist der Repräsentant / die Repräsentantin, der/die vor der Kamera auftreten würde? Wie glaubwürdig bei dem Thema? Im konkreten Szenario kommt hinzu, dass sich der Reputationsschaden bei der Berichterstattung auf TT schon deshalb in Grenzen halten würde, weil der Sender keine grosse Reichweite hat. Deshalb würde ich dem Krisenstab beantworten, ausschliesslich in einem schriftlichen Statement Stellung zu nehmen.

 

Aufgaben aus dem Update

 

Aufgabe 1:

Überlegen Sie, ob aufgrund der neuen Lage die Problemerfassung angepasst werden muss.

 

Vorschlag

Die Problemerfassung ändert sich grundsätzlich nicht, da wir schon bei der Ausgangslage davon ausgegangen sind, dass der Beschuldigte kaum alle Vorwürfe einräumen wird.

 

Aufgabe 2:

Überprüfen Sie, ob Sie das Wording der ersten Stunde anpassen müssen.

 

Vorschlag

Eine Ergänzung um die Aussage, dass der Beschuldigte bestreitet, ist angezeigt. Das Wording könnte dann wie folgt lauten:

«Wir bestätigen, dass eine Mitarbeiterin unserer NGO einen Kollegen beschuldigt, ihre sexuelle Integrität verletzt zu haben, was dieser allerdings bestreitet. Für uns als Arbeitgeber ist wichtig, dass in einer ersten Phase der Sachverhalt genau abgeklärt wird, erst wenn das passiert ist, können Schlüsse gezogen werden. Zum Schutz der involvierten Parteien hat die Geschäftsleitung die Mitarbeiterin wie den Mitarbeiter für die Zeit der Abklärungen beurlaubt.»

 

 

Aufgabe 3:

Erstellen Sie eine Nasty Questions List mit kritischen Fragen & passenden Antworten

 

Vorschlag

Ihre Mitarbeiterin hatte explizit gewünscht, dass «keine grosse Sache» aus dem Vorfall gemacht wird. – Sie haben das Gegenteil gemacht. Warum respektieren Sie den Willen des Opfers nicht. 

Wir haben die Öffentlichkeit in dieser Sache nicht gesucht und verstehen den Wunsch des mutmasslichen Opfers. Wir appellieren deshalb auch die Öffentlichkeit und die Medien, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Es ist jetzt wichtig, dass die Vorwürfe, die im Raum stehen, fair und professionell abgeklärt werden.

Sie haben selbst den mutmasslichen Täter bereits befragt und damit vorgewarnt. Er kann jetzt bequem allfällige Beweismittel beiseite schaffen, bis die Staatsanwaltschaft – allenfalls – eine Untersuchung einleitet. 

Wir haben diese Situation mit der Mitarbeiterin besprochen und ihr nahegelegt, eine Strafanzeige zu erstatten. Das hat sie explizit nicht gewünscht, und wir haben diesen Wunsch respektiert. Gleichzeitig können wir nicht arbeitsrechtliche Massnahmen treffen, ohne die Situation geklärt und einem Beschuldigten das Recht gegeben haben, sich zu den Vorwürfen zu äussern.

Der beschuldigte Mitarbeiter sagt aus, er sei von der Mitarbeiterin bedrängt worden, nicht umgekehrt. Die Anschuldigungen seien ein Racheakt, weil er auf ihre Avancen nicht eingegangen war. 

Es ist richtig, dass der beschuldigte Mitarbeiter den Sachverhalt bestreitet. Weiter ins Detail können und wollen wir nicht gehen.  

Was wollen Sie denn jetzt tun, wenn Aussage gegen Aussage steht? 

Wir lassen uns in der Sache seit Anbeginn von einer Fachstelle beraten und werden das auch weiterhin tun. Diese Fachleute werden weitere Abklärungen treffen und wir gehen davon aus, dass wir am Ende klarer wissen, was passiert ist und was nicht.

Und mit dieser Aussage demütigen Sie das Opfer, weil sie unterstellen, die Frau könnte gelogen haben. 

Das tun wir nicht. Wir halten uns strikte an die Fakten, und zum gegenwärtigen Zeitpunkt besagen die, dass ein Vorwurf im Raum steht, der bestritten wird. Aufgabe der Untersuchung ist es, zu erhellen, was tatsächlich war. Wir haben auch beiden Seiten im direkten Gespräch klar gemacht, dass wir uns neutral verhalten und die Resultate der Untersuchung abwarten. 

Es heisst auch, die Frau habe mit anderen Mitarbeitern «rumgemacht» und sexuelle Kontakte in der Firma nachgerade gesucht?

Eine solche Aussage ist eine Unterstellung, die auf die Integrität des mutmasslichen Opfers zielt und die ich nicht kommentiere. Für uns ist einzig relevant, ob ein Mitarbeiter die sexuelle Integrität einer anderen Mitarbeiterin verletzt hat. Das klären wir ab.

Falls sich herausstellen sollte, dass die Frau gelogen hat und die Vorwürfe falsch waren, welche Konsequenzen drohen ihr dann? 

Das ist eine hypothetische Frage auf der Basis einer Unterstellung. Ich kann die Frage deshalb nicht beantworten und möchte darauf aufmerksam machen, dass man mit solchen Unterstellungen sehr vorsichtig sein sollte, weil man damit schnell Vorurteile in den Raum stellt. Noch einmal: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist wichtig, dass die Vorwürfe untersucht werden. Und zwar unvoreingenommen, ergebnisoffen und unter Respektierung der Unschuldsvermutung in alle Richtungen. Klar ist, dass wir keine Verletzungen der sexuellen Integrität dulden und das untersuchen lassen, wenn uns ein Vorfall zu Ohren kommt. 

Und falls Sie am Ende nicht mehr herausfinden als was sie heute schon wissen und weiterhin Aussage gegen Aussage steht.  

Das ist eine hypothetische Frage, weil wir ja die Ergebnisse der Abklärungen nicht oder noch nicht kennen. Warten wir doch erst einmal ab, was sie ergeben.